Der Radar-Sensor wird einem Tesla-Elektroauto zukünftig sagen, wie die Welt vor ihm aussieht. War bislang die (Video-)Kamera in der Frontschreibe zentrales Elemente der Autopilot-Funktion, gibt es mit Software-Version 8.0 einen Wechsel. „Wir werden die Daten des Radar-Sensors sehr viel effektiver einsetzen“, sagt Musk am Sonntagabend deutscher Zeit in einer telefonischen Pressekonferenz sowie in einem Beitrag im Firmenblog. „Neben einem Dutzend kleinerer Veränderungen wird das Radar-Bild in den Mittelpunkt rücken“, so Musk. So kann eine Vollbremsung auf Grundlage der Radardaten ausgelöst werden, ohne dass die Kamera die Sichtung eines Hindernisses bestätigen muss.
Die Umstellung ist unter anderem Resultat des tödlichen Unfalls von Joshua Brown Anfang Mai in Florida. Der Fahrer eines Model S war mit aktivem Autopiloten unter den Anhänger eines Trucks geraten, der quer zum Highway stand. Die Kamera hatte den weißen Aufbau des Anhängers im Sonnenlicht als Autobahnschild gedeutet und keine Bremsung ausgelöst. Der Radar-Sensor hat das Metallobjekt richtig erkannt, durfte die Entscheidung der Kamera jedoch nicht „überstimmen“. Zudem ist es bei größerer Entfernung für ein Radar unmöglich, die Höhe des Objekts über der Fahrbahn richtig zu bestimmen.
Somit ist es überraschend, dass Tesla jetzt auf Radar als primäres Signal bei der Datenverarbeitung setzt. Auch wenn man bedenkt, wie die Welt auf einem Radarbildschirm aussieht. Menschen erscheinen teilweise durchsichtig. Dinge aus Holz, farbigem Kunststoff oder Glas wirken ebenfalls transparent. Objekte aus Metall werden gut erkennt. Wobei der konkav gebogene Boden einer auf der Fahrbahn liegenden Getränkedose kann die Radiowellen so reflektieren, dass das System von einem deutlich größeren Objekt ausgeht und bremst. Lösen will Musk das Dilemma mit einer besseren Signalverarbeitung der Sensordaten. Die neue Softwareversion verarbeite sechs mal Radar-Datenpunkte pro erkanntem Objekt. Jede Zehntel Sekunde werde ein 3D-Abbild der Wirklichkeit errechnet.
Absage an Lidar
Bei dem Problem der Höhenberechnung soll Schwarmwissen helfen. Die Elektroautos melden ab Version 8 der firmeneigenen Cloud GPS-Daten von Brücken, Autobahnschildern, Werbetafeln und anderen stationären Objekten über und an der Fahrbahn. Auch beim Tempo in Kurven verlässt sich das System zukünftig auf Erfahrungswerte anderer Tesla-Fahrer. Laut Kraftfahrtbundesamt sind in Deutschland nur rund 2.900 Tesla-Fahrzeuge mit Autopilot-Funktion zugelassen. Da dürfte das Schwarmwissen in etlichen Regionen dünn ausfallen.
Gefragt, ob Tesla in zukünftigen Modellen Lidar für den Autopiloten verwenden werde, erteilte Musk der Technik eine deutliche Absage. Radar sei das bessere „Auge“, da es durch Nebel, Dunst, Regen und Schnee sehen könne. Lidar könne das nicht. Statt Radiowellen nutzt die Technologie Laserstrahlen, also Licht, zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung. Das Radarsignal kann sogar unter einem vorausfahrenden Auto oder Lkw hindurch „sehen“ und Hindernisse rechtszeitig erkennen, dass ausreichend Zeit zum Bremsen bleibt, falls der Vorausfahrende plötzlich die Spur wechsele, so Musk. Selbst wenn der Autopilot nicht aktiviert wurde, erkenne der Radar-Sensor Hindernisse. In einem solchen Fall würde er eine Vollbremsung auslösen. Der Bremsweg mag dann bereits zu kurz sein, doch mindere es die Aufprallgeschwindigkeit bei einem Unfall.
Hände ans Lenkrad, sonst AUS
Mit einem derartigen Automatismus wiegt Tesla seine Fahrer in einer gefährlichen Sicherheit. Dabei habe das Unternehmen den Zusatz „Beta“ bewusst gewählt, damit Fahrer sich nicht komplett auf den Autopiloten verlassen. Das System sei keineswegs in einem Beta-Stadium wie man es von Software kenne, so der Firmenchef. Probleme mit dem Autopiloten bereiten dem Unternehmen weniger die Gelegenheitsnutzer, sondern die Enthusiasten. Sie verließen sich komplett auf das Assistenzsystem, so Musk. Das war auch bei Joshua Brown in Florida der Fall. Wer in Version 8.0 drei akustische Warnungen innerhalb einer Stunde ignoriert, die Hände ans Lenkrad zu legen, kann den Autopiloten für diese Fahrt nicht mehr nutzen. Der Wagen muss geparkt und neu gestartet werden, bevor eine Aktivierung wieder möglich ist. „Autopilot 8.0 bedeute keine perfekte Sicherheit“, fügt Musk hinzu, „Perfekte Sicherheit ist ein unmögliches Ziel.“ Ob Tesla in Zukunft seine Autos mit Dual-Kameras, weiteren Radar- und Ultraschallsensoren ausstattet, erwähnte Musk nicht. Den aktuellen Radar-Sensor liefert Bosch. Mobileye, der israelische Lieferant der Kamera, und Tesla haben ihre Zusammenarbeit Anfang August 2016 beendet.
Autopilot nimmt Autobahnausfahrt
Bei seinem Autopiloten kombiniert Tesla automatische Lenkung, Abstandshalte- und Spurhalte-Assistenten sowie eine adaptive Geschwindigkeitskontrolle. Wird die Fahrbahnmarkierung vom System einwandfrei erkannt, kann der Fahrer den Autopiloten über den Tempomathebel aktivieren. Dabei wird der Fahrer immer wieder darauf hingewiesen, seine Hände am Lenkrad zu lassen. In Deutschland gehört zum Spurwechsel beim Überholen zusätzlich ein Griff ans Lenkrad.
Das Update der Version 8.0 wird bis Ende September 2016 als Over the Air-Update ausgeliefert. Alle Fahrzeuge ab Fertigungtermin Oktober 2014 sind mit der Hardware für den Autopiloten ausgestattet und können das Update nutzen. Zunächst nur in den USA, können Fahrer damit auch den Highway wechseln oder eine Abfahrt nehmen. Ist der Blinker gesetzt, nimmt das Elektroauto die Ausfahrt bzw. wenn es im Routenverlauf des Navis so vorgesehen ist (ab Version 8.1).
Sonntagsarbeit
Derartige Neuigkeiten an einem Sonntagmittag (Ortszeit Kalifornien) zu verkünden, mag ungewöhnlich sein, doch Musk geriet langsam unter Zugzwang. Via Twitter hatte er für Ende August Neuigkeiten zum Autopiloten angekündigt. Dann explodierte am 1. September eine Falcon 9-Rakete beim Test der Triebwerke auf der Startrampe in Florida. Space X ist Elon Musk zweites, börsennotiertes Unternehmen. Mit der Rakete sollte ein Kommunikationssatellit im Auftrag von Facebook ins All transportiert werden. Die Ursache für den Unfall ist bislang unklar. Musk ruft via Twitter Augenzeugen auf, Fotos und Videos für eine Analyse einzusenden. Doch unter seinen 5,13 Millionen Twitter-Followern sind etliche Auto-Fans, so dass er sich gezwungen sah, die Neuigkeiten noch vor dem Sonntagsessen mit der Familie zu verkünden.