Apples sechste Version des Betriebssystems ist eine solide Weiterentwicklung. Etliche Funktionalitäten wurden verbessert. Die Optik lediglich an einigen Stellen behutsam angepasst (u.a. Telefon). Der große Wurf blieb allerdings aus.
Total verfahren
Rausgeworfen dagegen wurde Google Maps. Da der Suchriese mit Android immer mehr Boden bei Konsumenten gut macht und bereits seit einiger Zeit sprachgesteuerte, dynamische Routenführung auf Smartphones anbietet, musste Apple nachziehen. Doch trotz diverser Übernahmen und etlicher Kooperationspartner (mehr als 30 werden in den Copyright-Hinweisen genannt) ging der Start total nach hinten los. Das Brandenburger Tor liegt in Schöneiche bei Berlin, der Kölner Dom wird nicht angezeigt und die Satellitenbilder von Freiburg sind teilweise schwarz-weiß, was ihnen eine „Kalte-Krieg-Optik“ verleiht. Im irischen Dundrum wird aus einem Landschaftspark mit dem Namen Airfield ein Flughafen. Die Beispiele sind endlos und unter dem Titel The Amazing iOS6 Maps zu sehen. Beim neuen Flyover-Modus bekleckert sich Apple in Deutschland auch nicht mit Ruhm. Die Helikopter-Ansicht ist zum Start gerade mal für die Innenstädte von Berlin und München verfügbar. Wer die deutlich praktischere Straßenansicht von Google Streetview vermisst, kann die unter maps.google.com im Browser aufrufen.
Wenn alle Fehler in den Karten korrigiert sind, dann ist es eine vollwertige Navigations-App. Man sagt Siri, wohin mal will und erhält Routenvorschläge. Auch die Richtungswechsel sagt die freundliche Dame an. Dazu gibt es auf Wunsch aktuelle Stau- und Verkehrsmeldungen. Yelp liefert Adressen von Geschäften, Restaurants und Museen (POI) inklusive Nutzerbewertungen. Leider ist die Nutzerbasis des Bewertungsportals in Deutschland gering. Die Übernahme von Marktführer Qype dürfte spürbare Verbesserungen bringen.
Kino, Fußball, Essen
Die Sprachassistentin Siri weiß nun deutlich mehr Antworten. Die Dame weiß die Ergebnisse der ersten Fußball-Bundesliga, liefert Spielerstatistiken, schickt Meldungen zu Facebook oder Twitter und kennt dank Yelp auch die Restaurants in der näheren Umgebung. Leider ist eine Tischreservierung, wie in den USA über Open Table, hierzulande noch nicht möglich. Auch weiß Siri zwar, welche Kinofilme derzeit laufen, zeigt am weder die Anfangzeiten in den Kinos noch reserviert sie Eintrittskarten.
Dank der Spracherkennung kann man in jeder Text-App (Mail, Nachrichten, Pages etc.) Texte diktieren. Ein Fingertipp auf das Mikrofon-Symbol genügt und Siri hört zu. Die Übersetzung in geschriebenen Text erfolgt auf einem Apple-Server, somit benötigt man eine Internetverbindung. Doch im Praxistest konnte die Texterkennung überzeugen. Trotz diverser Hintergrundgeräusche wurden die Worte sehr gut erkannt.
Gute Karten
Mit dem Passbook geht Apple den ersten Schritt in Richtung digitale Geldbörse. Hier landen alle Bord-, Kunden- und Eintrittskarten sowie Einkaufscoupons aus den jeweiligen Apps. Die Fluglinie, da Hotel, der Laden etc. muss also die Schnittstelle zum Passbook unterstützen. Dann poppt bei Ankunft am Flughafen die Bordkarte automatisch auf dem Bildschirm auf. Die Angaben zum Abflug-Gate aktualisieren sich ebenfalls wie von Geisterhand und mit dem QR-Code verschafft man sich Zugang zum Flieger. Ist man gelandet, schickt man die Bordkarte durch einen virtuellen Schredder und im Passbook ist wieder Platz für neue Tickets.
Film ab
YouTube ist als Standard-Video-App verschwunden. Aber das ist nicht weiter schlimm. Es gibt von Google eine offizielle, kostenlose YouTube-App, die ich viel besser finde, da man mehr Anpassungen vornehmen kann.
Nachdem es mit Ping, dem Apple-eigenen Social Network nicht funktioniert hat, integriert das Unternehmen Facebook und Twitter fest ins Betriebssystem. Werden die Zugangsdaten hinterlegt, können Apps darauf zugreifen und der Nutzer kann direkt aus Fotos, den Karten oder Safari zu den Netzwerken Fotos, Standorte oder Links hochladen.
Mail: VIPs und Flagge hissen
Wer viele Mails mit Werbung, Kauf- und Bestellbestätigungen sowie Newsletter erhält, verliert schnell die Übersicht. Darum gibt es jetzt zwei neue Postfächer. VIP-Mails landen im gleichnamigen Postfach. In der Gesamtübersicht erkennen Sie diese Mails an einem blauen Stern statt einem Punkt. Sind Sie nach der Lektüre einer Mail der Meinung, dieser Absenders sollte zum VIP (Very Important Person) „erhoben“ werden, tippen Sie auf den Absendernamen. Der Name ist blau unterlegt und steht direkt hinter dem Eintrag Von:. Ein Fingertipp öffnet den dazugehörigen Adresseintrag. Tippen Sie ganz unten auf die Option Zu VIP hinzufügen. Ab jetzt landen die Mails im VIP-Posteingang.
Den VIP-Status können Sie einer Person auch wieder entziehen. Tippen Sie in der Mail auf den Absendernamen hinter dem Von:. Es öffnet sich der dazugehörige Adresseintrag. Ganz unten finden Sie die Option Von VIP entfernen.
Das zweite Postfach heißt Markiert. Hier landen alle Mails, die Sie mit einer Flagge versehen haben. Stellen Sie beim Lesen fest, diese Mail möchten Sie Text später noch einmal lesen bzw. beantworten, tippen Sie links unten auf das Flaggen-Symbol. Sie werden gefragt, ob Sie die Mail Als ungelesen markieren oder ein Etikett setzen wollen. Die Übersetzung Etikett ist leider irreführend, meint aber das Markieren der Mail mit einer Flagge. Sie sehen oben im Kopf neben Betreffzeile und Datum die kleine Fahne. Damit ist Mail nun auch im Postfach Markiert zu finden.
Weiterleitungen
Deutlich schöner und praktischer sind die Weiterleitungen beispielsweise aus Safari oder der Foto-App geworden. Ein Fingertipp auf den Weiterleitungspfeil und man hat alle Optionen im Blick: Einen Artikel aus Safari ausdrucken, bei Facebook empfehlen oder zur Leseliste hinzufügen. Fotos können Sie ebenfalls per Nachricht oder zu Facebook / Twitter weiterleiten, einem Kontakt zuweisen oder als Fotostream einem Freund, Bekannten oder Verwandten zugänglich machen.
Verbesserter Datenschutz
Apple hat aus Location Gate gelernt. Sämtliche Einstellungen zur Ortungsfunktion, welche App auf den Kalender oder das Adressbuch zugreifen darf, regeln Sie in den Einstellungen unter der Option Datenschutz. Das betrifft auch die eingerichteten Twitter- und Facebook-Konten. Denn Sie können beispielsweise Facebook-Events direkt im Kalender anzeigen oder Ihr Adressbuch (Kontakte) abgleichen. Dann werden alle Profilfotos aus Facebook oder Twitter übernommen.
Gleichzeitig hält sich Apple ein Hintertürchen für Werbung in Apps offen. Schließlich will das Unternehmen mit den iAds Geld verdienen. Wenn Sie nicht möchten, dass Werbeanbieter Ihr Nutzungsverhalten analysieren bzw. Ihren Ort mitgeteilt bekommen, um ortsrelevante Werbung auszuliefern, müssen Sie zwei Dinge tun:
1. Deaktivieren Sie unter Einstellungen / Datenschutz / Ortungsdienste / Systemdienste die Ortsabhängigen iADs.
2. Aktivieren Sie die Option Ad Tracking beschränken unter Einstellungen / Allgemein / Info ganz unten bei Werbung.
Fazit: Mit den eigenen Karten und dem Flyover-Modus macht das amerikanische Unternehmen seinen ersten großen Bauchklatscher. Siri ist deutlich besser geworden, doch die Tage der sprachgesteuerten Suchmaschine kommen erst noch. Dafür ist die Diktierfunktion gelungen. Ich diktiere kurze Mails, SMS und Statusmeldungen für soziale Netzwerke, weil ich bis heute mit der Bildschirmtastatur nicht warm geworden bin. Daran ändern auch die endlich direkt sichtbaren Umlaute nichts. Im Gegenteil: Sie wurden ins Tastaturlayout gequetscht, so dass die Tasten nun noch schmaler sind. Wer ein iPhone 5, 4S oder 4 sein eigen nennt, sollte auf iOS 6 wechseln (Einstellungen / Allgemein / Softwareaktualisierungen). Wer ein iPhone 3GS nutzt, kann das auch tun, sollte dann aber ein geduldiger Mensch mit viel Zeit sein. Im Praxistest konnte man zwischen Start der Facebook-App und Erscheinen der ersten Meldung in Ruhe einen Kaffee mit viel Milchschaum zubereiten.
Captains Blick auf die neue iPhone 5-Hardware gibt es hier.